Top Gun 2: Maverick | Kritik (2024)

Untote Wiederkehrer: Joseph Kosinskis Top Gun: Maverick verwandelt den Kinosaal in das co*ckpit eines Kampfjets und macht den militärischen Konflikt zum Stellvertreterkrieg für den Kampf mit der eigenen Vergangenheit.

Star Trek (2009), Creed (2015), Star Wars: Das Erwachen der Macht (2015), Blade Runner 2049 (2017) etc.: Die zunehmende Tendenz Hollywoods, alte Kultfilme upzudaten, hat anscheinend nach einem Begriff verlangt. Durch einen guten Freund bin ich neulich auf die Bezeichnung legacyquel gestoßen. Die umständliche Wortkonstruktion verrät eine Zerrissenheit: Das Alte soll fortgesetzt, noch einmal heraufbeschworen werden (sequel), während gleichzeitig an eine neue Generation übergeben wird (legacy). Top Gun: Maverick trägt dieses Ringen zwischen Alt und Neu zu Beginn gleich mal ziemlich offen aus: Der Anfang gehört gewissermaßen noch einmal dem Jahr 1986 und Tony Scotts ikonischer Flugzeugträger-Ouvertüre unter warm leuchtendem Abendhimmel zu Harold Faltermeyers Synthie-Soundtrack, bevor dann erkennbar Joseph Kosinski (Tron Legacy, Oblivion) das Ruder übernimmt. Wenn ein paar Minuten später Captain Pete „Maverick“ Mitchell (Tom Cruise) im Raumanzug mit über Mach 10 am Rande der Stratosphäre herumfliegt, ist auf einmal alles im Hier und Jetzt, mit einem Flügel schon im Science-Fiction-Genre, das inzwischen fast das gesamte Blockbuster-Kino in der ein oder anderen Form dominiert.

Unantastbarer Cruise-Körper

Dass uns Kosinski da Tom Cruises Gesicht im beleuchteten Helm wie auf dem Präsentierteller (ähnlich den Close-ups von Robert Downey Jr. im Iron-Man-Anzug) serviert, ist nur konsequent. Letztlich ist diese inzwischen mit ein paar Stirnfalten behaftete, aber ewig jungenhaft grinsende Physiognomie der große Fluchtpunkt dieses Films und jener Spannung zwischen Jung und Alt, die Top Gun: Maverick durchzieht. Nur wenn Kosinski direkt von den physischen und seelischen Unterschieden zur jungen Generation erzählen möchte, dann ist der so unantastbar inszenierte Cruise-Körper vielleicht nicht die beste Wahl. Kaum eine Erfahrung möchte sich in diesem Film auf ihm abzeichnen: nicht der Hyperschallflug, mit dem Maverick am Himmel gleich mal verglüht, der ihn aber lediglich leicht verdutzt und mit ein bisschen Staub in den Haaren in einer Bar landen lässt; und schon gar nicht die 36 Jahre zwischen 1986 und 2022, die nichts daran ändern, dass die Cruise-Muskeln so gestählt wie eh und je mit denen der Jungspunde im Sonnenschein um die Wette glänzen. Erst wenn Val Kilmer seinen berührenden Auftritt bekommt, seine Figur Iceman – ganz wie der Darsteller dem Vernehmen nach selbst – kaum noch sprechen kann, dann ist das Älterwerden auch ganz körperlich spürbar.

Gesichtslose Pappkameraden

Man kann und sollte wohl auch genervt sein von all den untoten Filmklassikern, die als Neuauflage wiederkehren. Aber irgendwie sind diese legacyquels wenigstens ehrlich, wenn es darum geht, wie das Neue überhaupt sein kann, nämlich wohl kaum unvermittelt neu, sondern nur denkbar durch die Beschäftigung mit dem Alten. So befinden sich selbst in der neuen Generation Wiederkehrer: auf jeden Fall Bradley „Rooster“ Bradshaw (Miles Teller), der seinem Vater und Mavericks tragisch verstorbenem Fliegerkumpel Goose von der Sonnenbrille übers Hawaiihemd bis aufs letzte blonde Haar im Schnauzbart ähnlich sieht; aber auch Jake „Hangman“ Seresin (Glenn Powell), der als Rivale in der Flugschule Val Kilmers Rolle einnimmt. Die anderen Top-Gun-Schüler, nun von Maverick unterrichtet, bilden im Vergleich zum Film von 1986 ein pflichtschuldig wirkendes Diversity-Update.

Top Gun: Maverickist konsequent einer Ver- und Bearbeitung der eigenen Vergangenheit verpflichtet. Überall hängen hier US-Flaggen, einmal die ganze Leinwand füllend, zwischendurch wird ein Lincoln-Wackelkopf reingeschnitten. Für die neue Mission baut sich der Film einen wahrhaften Pappkameraden auf: Alles dreht sich um irgendeine Atombedrohung im anonymen, verschneiten Gebirge, wo komplett gesichtslose Feinde warten, die nicht mehr die russischen MiG-Typen fliegen, sondern die alten 1980er-Maschinen der US Navy selbst. Der militärische Kampf wird zum Stellvertreterkrieg für die Auseinandersetzung mit sich selbst.

Was also auch immer da am Ende in die Luft gesprengt wurde, im Mittelpunkt steht Roosters und Mavericks gemeinsame Bewältigung des Traumas vom toten Vater/Kameraden. Egal gegen wen die gefährlichen und rasanten Manöver geflogen werden, wichtig ist es, die dabei auftretenden g-Kräfte und das Risiko für den Pilotenkörper am physischen Limit auf die Leinwand zu bringen. Top Gun: Maverick versucht nicht zuletzt, mit einem Vorgänger umzugehen, der nicht nur ordentlich Geld in die Kinokassen spülte, sondern auch Massen an neuen Rekruten ins amerikanische Militär. Deshalb hat Maverick bei allem noch vorhandenen, jungenhaften Spaß am Regelbruch doch etwas Altersweisheit dazugewonnen, die er gegen den streng taktisch denkenden Vice Admiral Beau „Cyclone“ Simpson (Jon Hamm) behauptet: Das Training für die Mission soll nicht nur militärischen Erfolg sicherstellen, sondern auch, dass die Piloten wieder nach Hause kommen.

Ein Film bei Mach 10

Kosinski macht den Kinosaal zum co*ckpit, will seine Zuschauer genauso in den Sitz drücken wie sein Figurenensemble. Ob das Spürbarmachen des körperlichen Risikos wirklich als politische Inszenierungsstrategie taugt, lässt sich sicherlich bezweifeln, weil das Kino bei aller Immersion doch eine Form des Genusses bleibt. Auch wenn Top Gun: Maverick unten auf dem Boden solche ernsthafteren Töne anschlägt: Oben in der Luft lässt er sich all den Spaß des Vorgängers dann doch nicht nehmen. Kosinski beherrscht das Action-Handwerk meisterhaft, schafft es, in all der Überschallgeschwindigkeit stets den Überblick zu bewahren. Und wenn Maverick und Rooster im Training um die Wette abstürzen, die beiden sich spiralartig beim senkrechten Flug gen Boden umkreisen, ist das mit Sicherheit eines der atemberaubendsten Adrenalin-Duelle seit dem Fallschirmspringen in Kathryn Bigelows Gefährliche Brandung (Point Break, 1991). Kosinski teilt die waghalsige Lust am rasant steigendem Tacho mit seinem Protagonist Maverick: Wenn Top Gun bei Mach 5 war, ist sein Nachfolger locker bei Mach 10.

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